10-Punkte für antifaschistischen Aktivismus in Zeiten von Corona

Derzeit grassiert neben Covid-19 noch ein anderes Virus. Ob nun aus Respekt vor der Erkrankung, der Vorsicht gegenüber Risikogruppen, der Angst vor Repressalien seitens des Staates oder durch Denunziant*innen – es herrscht eine gewisse Lethargie. Die Trägheit unter politisch Aktiven, die sonst so vollmundig das Schlechte anprangern und für dessen Überwindung kämpfen, greift um sich. Schlechte Zeiten für Massenaktionen, okay, aber auch in Zeiten der Demonstrationsverbote und mangelnder Mobilisierungsstärke sollten wir die Hände nicht in den Schoß legen und warten bis wir wieder auf günstigere gesellschaftliche Zustände treffen. Gerade jetzt ist es wichtig, gegen die Beschränkungen unserer Freiheit zu kämpfen, das oft Unbeobachtete ans Licht zu holen, das Unbestrafte zu ahnden, soziale Missstände anzuprangern und die Krisen-Diskurse zu beeinflussen. Gleichzeitig sollten wir unsere eigenen Projekte weiterverfolgen und dafür (neue) geeignete Mittel finden. Wir können das eine tun (das Virus ernst nehmen), ohne das andere zu lassen (Politik zu machen)!

Wichtig ist auch, sich Gedanken darüber zumachen, gegen welche Akteur*innen man sich richtet. Dies können weiterhin die bekannten Nazis und üblichen Themen sein. Es bieten sich aber auch neue an, die sich mehr anbieten: Sei es das Robert-Koch-Institut und dessen NS-Vergangenheit, oder auch Arbeitgeber*innen, die jetzt in besonderem Maße Menschen gefährden, wie beispielsweise in Großraumbüros oder auch in Gesundheitsbetrieben, die jedwede arbeitsrechtliche Errungenschaft wie den 8-Stunden-Tag beiseite wischen. Sozialdarwinismus als Ausdruck des Faschismus macht sich gerade unter den Priviligierten breit und bietet sich zur Thematisierung an.

Zur Inspiration haben wir einige Aktionsformen und Handlungsfelder zusammengestellt. Also an die Arbeit!

1. Propaganda: Plakate, Graffiti, Banner-Drops, AdBusting usw.
Dies sind einfache Möglichkeiten, um im öffentlichen Raum auch in Kleingruppen auf Themen aufmerksam zu machen. Allerdings macht häufig erst die Masse diese Aktionen wirkungsvoll. Deshalb bieten sich Absprachen mit anderen Gruppen an. Außerdem besteht gegebenenfalls Rechtfertigungsbedarf auf der Straße bei Kontrollen. Zudem ist der Ausdruck meist leicht zu beseitigen und es besteht ein gewisser Materialaufwand. Das Teilen der Aktionen in sozialen Netzwerken kann nützlich sein, um mehr Menschen zu erreichen und, falls schnell entfernt, die politische Botschaft weiter zu tragen.

2. Prangern: Neonazis aus der Deckung holen
Neonazis sollen sich nicht sicher fühlen – weder an ihren Arbeitsplätzen, noch in ihrer Nachbar*innenschaft. Was heißt das konkret? Beispielsweise eine Plakataktion, so dass sowohl der Neonazi selbst es mitbekommt als auch seine Nachbar*innen gewarnt sind. Dabei ist ein Bild sowie ein kurzer Infotext wichtig. Sinnvoll ist auch eine Online-Begleitung des Outings und Veröffentlichung auf den einschlägigen Seiten, wie Indymedia. Auch hierbei muss man sich jedoch gegebenenfalls auf der Straße gegenüber der Ordnungsmacht rechtfertigen.

3. Direkte Ansprache: Flyer in Briefkästen
Viele Menschen sind Zuhause und daher gut über ihre Briefkästen erreichbar. Diese Aktionsform ist in Kleingruppen und tagsüber gut möglich. Nachteil: Wird oft als Werbung weggeworfen und ist eine Materialschlacht.

4. Massenaktionen mit Abstand: Flashmobs, Fahrradkorso, Inlineskate-Demos, Schnitzeljagden, Stadtrallye
Öffentliche Aktionen haben einen starken Ausdruck nach außen, sind massenwirksam, widerständig und – mit genügend Abstand – infektionsvermeidend. Nach innen können sie ebenso empowernd wirken, durch das Zusammen- und nach draußen kommen. Solche Aktionen erforden zwar viel Vorbereitung und setzen verantwortungsvolle Teilnahme voraus, sie bieten aber auch die Möglichkeit mehr über alternative Protestformen zu lernen und Inhalte zu transportieren.

5. Digitale Verbreitung von Inhalten: DIY-Radio, Veranstaltungsmitschnitte, Videoformate
Theorie- und Praxisdiskussionen dürfen in der radikalen Linken nie zum Erliegen kommen. Digitale Formate haben eine größere Reichweite und setzen auch auf die Neugier. Für die meisten von uns sorgt das Medien-Machen für eine Lernkurve bei sprachlicher Genauigkeit und bei der Erstellung digitale Formate und der Verbreitung über Social Media. Das hilft uns auch nach Corona.
Aber: Wirkt schnell schlecht gemacht und ist viel Aufwand und viel Effekthascherei – Form schlägt meist Inhalt um Klicks zu steigern.

6. Ausgangsverbote unterlaufen: Bewusstes Spazierengehen, Offline-Recherche, Stickertouren
Auch alleine lassen sich neue Kieze auschecken oder Corona-Anpassungen im öffentlichen Leben nachvollziehen. Wie ändert die Sicherheitsarchitektur ihre Prioritäten? Wie wird auf Beschränkungen reagiert? Neue Akteure, Orte und Möglichkeiten zeigen sich auf. Also: Raus auf die Straßen!

7. Nachbarschaftliche Solidarität: Politisieren
Nachbarschaftliche Solidarität ist wichtig, praktisch und alltagsnah. Schon immer war und ist Basisarbeit ein wichtiger Bestandteil politischer Organisierung, Vernetzung und Verknüpfung von Kämpfen. Allerdings besteht die Gefahr, dass diese Hilfe unpolitisch ist und somit kaum mehr als Charity. Das heißt für uns, diese alltäglichen Kontakte mit den Nachbar*innen oder anderen Bekannten politisch zu gestalten, indem zum Beispiel Strukturen verstetigt werden oder soziale Themen und politische Inhalte aktiv auf die Tagesordnung gebracht werden. Wann, wenn nicht jetzt ist eine politische Krise so smalltalk-tauglich?

8. Widerständig bleiben: Vernetzen und handeln
Kontaktbeschränkung und Solidarität sind wichtig. Aber das heißt nicht, alles zurückzufahren und unkritisch gegenüber staatlichen Anordnungen zu sein. Daher ist es wichtig, weiterhin Plena (z.B. online) durchzuführen, Vernetzung zu betreiben und sich auch um bundesweite Netzwerke zu bemühen und zu pflegen. Solche neuen Routinen lassen sich einüben und können Platz für Neues geben. Das heißt auch, weiterhin überreagional aktionsfähig zu sein: Sei es anlässlich #leavenoonebehind oder dem anstehenden Rondenbarg-Verfahren. Dies gilt im Großen oder auch im Kleinen – in dem Sinne, als dass sich gerade jetzt auch strukturschwächere Regionen über Support freuen.

9. Falsche Freund*innen und Analysen: Entlarven
Neonazis und Verschwöhrungstheoretiker*innen nutzen Corona, um ihre Feindbilder zu schärfen und gefähliche Unwahrheiten zu verbreiten. Daher braucht es antifaschistische Analysen und Recherchen, um dies offenzulegen. Gleichzeitig sind viele empfänglich für einfache oder auch völlig abstruse Erklärungsmuster. Dem muss mit Aufklärung und Gegeninformation begegnet werden.

10. Internationale Perspektive nicht verlieren
Gerade in der allgemeinen Rückbesinnung auf das Lokale und Nationalstaatliche ist es wichtig, zu wissen, was in anderen Regionen und Ländern so läuft. Internationale Solidarität heißt auch in Corona-Zeiten praktische Hilfe (Geld!) und politischer Druck.

Berlin, April 2020

Quelle: https://de.indymedia.org/node/79385